Umweltgerechtigkeit zielt darauf ab, eine Konzentration gesundheitsrelevanter Umweltbelastungen wie Lärm oder Schadstoffe in der Luft in sozial benachteiligten Quartieren und Wohnlagen zu vermeiden oder abzubauen sowie ihren Bewohnerinnen und Bewohnern den Zugang zu gesundheitsbezogenen Umweltressourcen – dazu gehören Grün- und Freiflächen – zu ermöglichen.
Eine allgemein verbindliche Definition des Handlungsansatzes „Umweltgerechtigkeit“ steht für Deutschland noch aus.
Der Begriff leitet sich vom englischen Terminus „environmental justice“ ab. Er wurde in den frühen 1980er Jahren von Bürgerrechtsgruppen in den USA geprägt und fokussiert auf sozial benachteiligte, überwiegend von Afroamerikaner/innen bewohnte Stadtquartiere, die wegen ihrer Lage nahe emittierender Industrien bzw. aufgrund planerischer Prioritätensetzungen zu Gunsten baulicher, infrastruktureller und verkehrlicher Maßnahmen mit Blick auf die Umweltsituation zusätzlich belastet wurden. In South Central Los Angeles beispielsweise, wo sich seit Mitte der 1970er-Jahre durch den Niedergang des nach dem Ruhrgebiet weltweit zweitgrößten zusammenhängenden Industriegebiets Probleme wie Langzeit-/Jugendarbeitslosigkeit, Armut, Perspektivlosigkeit in Verbindung mit Drogenmissbrauch etc. eklatant häuften, trug eine kaum existierende Umweltplanung zu einer Verstärkung von Benachteiligungen bei: Der Los Angeles River, der das Gebiet im Osten begrenzte, konnte allenfalls als Abwasserkanal bezeichnet werden – sofern er überhaupt Wasser führte. Nennenswerte Grün- bzw. Parkanlagen fehlten oder wurden nicht gepflegt, so dass ernstzunehmende Frei(zeit-) und Sportflächen kaum zur Verfügung standen.
Gegen vergleichbare Situationen auch in anderen Städten regte sich in den nachfolgenden Jahrzehnten zunehmend Protest, bis die Forderung nach „environmental justice“ Einzug in politische Programme, Strategien und das Regierungshandeln in den USA hielt (Maschewsky, 2012). Nach Definiton der US-amerikanischen Umweltbehörde (EPA) wird darunter die faire Behandlung und sinnvolle Einbeziehung aller Menschen unabhängig von Rasse, Hautfarbe, nationaler Herkunft oder Einkommen in Bezug auf die Entwicklung, Umsetzung und Durchsetzung von Umweltgesetzen, -vorschriften und -richtlinien verstanden (vgl. EPA o.J.).
Eine Übertragung auf die Situation in Deutschland funktioniert nicht eins zu eins: Nicht nur unterscheidet sich hierzulande das Planungssystem von denen US-amerikanischer Städte, in denen oftmals lediglich Flächennutzungszonen für Wohnen, Gewerbe etc. ausgewiesen werden (zoning), ohne sozialräumliche Zusammenhänge stärker in den Blick zu nehmen. Auch verlaufen Segregation und die Herausbildung mehrfach benachteiligter Quartiere in Deutschland weniger (rassistisch) ausgrenzend als vielfach in den USA. Zudem sind deutsche Umweltstandards ausgeprägter. Dennoch gilt es auch hierzulande, den Zusammenhang von sozialräumlicher und (möglicher) Umweltbenachteiligung in den Blick zu nehmen.
Vor diesem Hintergrund werden in Deutschland vor allem Fragen der sozialen und räumlichen Verteilung von gesundheitsrelevanten Umweltbelastungen und Umweltressourcen unter der Überschrift „Umweltgerechtigkeit“ behandelt. Indem die Themen soziale Lage, Umwelt sowie Gesundheit sowohl innerhalb einzelner Teilräume einer Stadt als auch im Vergleich zueinander betrachtet werden, kann die räumliche Verteilung etwaiger Vor- und Nachteile einer Umweltnutzung unter Gerechtigkeitsaspekten betrachtet werden (vgl. Bolte u.a. 2012: 23).
An dieser Stelle kommen normative Vorstellungen ins Spiel, denn: Die Frage, wer welche Entwicklungen auf Basis welcher Kriterien und mit Blick auf welche Bevölkerungsgruppen für „gerecht“ hält, bleibt auch mit dem Ansatz Umweltgerechtigkeit weitgehend ungeklärt: Heißt Umweltgerechtigkeit, dass alle Einwohner/innen einer Stadt unter den (messbar) gleichen Umweltbelastungen leben sollten; geht es also etwa um eine „Umverteilung“ dieser Belastungen? Oder – um ein anderes Extrem zu nennen – wird „Gerechtigkeit“ bereits über Marktmechanismen erzeugt, indem sich Menschen mit höheren Einkommen ihre Wohnlage aussuchen können, ärmere Bevölkerungsgruppen, die auf günstige Wohnungen angewiesen sind, dagegen nicht? Ergo: „Die auch unter Umweltaspekten ‚guten Lagen‘ muss man sich ‚leisten‘ können“.
Bisherige Definitionen von Umweltgerechtigkeit arbeiten mit einer Vorstellung, die zwischen diesen beiden Polen liegt:
Umweltgerechtigkeit zielt darauf ab, eine Konzentration gesundheitsrelevanter Umweltbelastungen wie Lärm oder Schadstoffe in der Luft in sozial benachteiligten Quartieren oder Wohnlagen zu vermeiden und/oder abzubauen sowie ihren Bewohnerinnen und Bewohnern den Zugang zu gesundheitsbezogenen Umweltressourcen – dazu gehören Grün- und Freiflächen – zu ermöglichen.
Umweltgerechtigkeit verfolgt also das Ziel, sozialraumbezogen gesundheitsrelevante Umweltbeeinträchtigungen zu vermeiden oder abzubauen sowie bestmögliche umweltbezogene Gesundheitschancen herzustellen. Bei dieser Gerechtigkeitsauffassung geht es darum, Bevölkerungsgruppen, die aufgrund ihrer individuellen (Einkommens-) Situation weniger mobil sind und daher Umweltbelastungen nicht gut ausweichen können, mittels Verbesserung ihrer umweltbezogenen Lebenssituation „vor der Haustür“ zu entlasten. Dies ist vor allem auch deshalb bedeutsam, weil soziale Benachteiligung bzw. Armut gesundheitlich anfälliger gegenüber Umweltbelastungen machen, als dies bei weniger benachteiligten Bevölkerungsgruppen der Fall ist (vgl. Köckler/Hornberg 2012).
Dabei können verschiedene „Gerechtigkeits“-Aspekte unterschieden werden, zu denen gehören (vgl. Maschewsky 2008):
- Verteilungsgerechtigkeit: Frage der Verteilung von Umweltbelastungen und -ressourcen – zum Beispiel Lärmquellen und Grünflächen – innerhalb einer Gesamtstadt,
- Zugangsgerechtigkeit: möglichst gleiche Zugangschancen zu Umweltressourcen wie Naherholungsflächen für alle Einwohner/innen (Stichworte Mobilität, Erreichbarkeit etc.),
- Verfahrensgerechtigkeit: gleiche Möglichkeiten für alle von umweltbezogenen Interventionen Betroffenen, sich an entsprechenden Informations-, Planungs-, Anhörungs- und Entscheidungsprozessen zu beteiligen.
Im Endeffekt gibt es keine fertigen „Blaupausen“, mit denen Umweltgerechtigkeit auf „richtige“ Art und Weise hergestellt werden kann. Vielmehr muss jede Kommune zunächst für sich selbst definieren, was sie mit Blick auf die räumliche Verteilung von Umweltbestandteilen und -ressourcen für „gerecht“ hält und welche damit verbundenen Ziele für sie erreichbar erscheinen – bzw. welche Priorität sie dem Thema insgesamt einräumen möchte.
Vor diesem Hintergrund versteht sich die toolbox, in der Sie sich hier befinden, als Angebot, Unterstützung, Handlungshilfe und „Bibliothek“ für potenziell entscheidungsrelevante Überlegungen zu Umweltgerechtigkeit.
Literatur
- Bolte, Gabriele, Christine Bunge, Claudia Hornberg, Heike Köckler und Andreas Mielck (2012): Umweltgerechtigkeit durch Chancengleichheit bei Umwelt und Gesundheit. Eine Einführung in die Thematik und Zielsetzung dieses Buches. In: Dies. (Hrsg.), Umweltgerechtigkeit. Chancengleichheit bei Umwelt und Gesundheit: Konzepte, Datenlage und Handlungsperspektiven. Bern. S. 15-37.
- EPA (U. S. Environmental Protection Agency) (o.J.): What is Environmental Justice? http://www.epa.gov/environmentaljustice/ (Zugriff am 03.05.2018).
- Köckler, Heike, und Claudia Hornberg (2012): Vulnerabilität als Erklärungsmodell einer sozial differenzierten Debatte um Risiken und Chancen im Kontext von Umweltgerechtigkeit. In: Gabriele Bolte, Christiane Bunge, Claudia Hornberg, Heike Köckler und Andreas Mielck (Hrsg.), Umweltgerechtigkeit durch Chancengleichheit bei Umwelt und Gesundheit – Konzepte, Datenlage und Handlungsperspektiven. Bern. S. 73-86.
- Maschewsky, Werner (2012): Umweltgerechtigkeit – Erfahrungen aus den USA und Schottland. In: Gabriele Bolte, Christiane Bunge, Claudia Hornberg, Heike Köckler und Andreas Mielck (Hrsg.), Umweltgerechtigkeit durch Chancengleichheit bei Umwelt und Gesundheit – Konzepte, Datenlage und Handlungsperspektiven. Bern. S. 159-172.
- Maschwesky, Werner (2008): Umweltgerechtigkeit als Thema für Public-Health-Ethik. In: Bundesgesundheitsblatt 51 (2). S. 200-210.