Mit einer Gesundheitsfolgenabschätzung können die gesundheitlichen Wirkungen - im positiven wie im negativen Sinne - von kommunalen Strategien, Programmen und Projekten samt Antworten auf die Frage, für wen diese Wirkungen relevant sind, ermittelt und beurteilt werden. Thematisch können Vorhaben beispielsweise in den Bereichen Stadtplanung und Stadtentwicklung, Wohnungsbau, Verkehrsentwicklung, Bildung, Arbeit, Wirtschaft oder Umwelt betrachtet werden. Die Ergebnisse der Gesundheitsfolgenabschätzung sollen Entscheidungsträger dabei unterstützen, gesundheitliche mit anderen entscheidungsrelevanten Aspekten abzuwägen, negative Gesundheitswirkungen und gesundheitliche Ungleichheit zu vermeiden und zu verringern sowie positive Wirkungen des jeweiligen Vorhabens auf die Gesundheit zu optimieren. Damit können Gesundheitsfolgenabschätzungen auch dazu beitragen, räumlich konzentrierte und durch Umweltbelastungen ausgelöste gesundheitliche Ungleichheiten zu vermeiden und zu reduzieren.
Gesundheitsfolgenabschätzungen stellen eine Kombination von Verfahren, Methoden und Werkzeugen dar, „durch welche sich ein Vorhaben (Strategie, Programm oder Projekt) hinsichtlich möglicher gesundheitlicher Auswirkungen und deren Verteilung in der Bevölkerung beurteilen lässt“ (Fehr 2012: 187). Gegenstand einer solchen Folgenabschätzung können unterschiedlichste Vorhaben beispielsweise in den Bereichen Stadtplanung und Stadtentwicklung, Wohnungsbau, Verkehrsentwicklung, Bildung, Arbeit, Wirtschaft oder Umwelt sein (ebd.).
Auch wenn seit etwa 20 Jahren international und national die Idee einer Gesundheitsfolgenabschätzung diskutiert wird und die Landesgesetze zum öffentlichen Gesundheitsdienst die Gesundheitsbehörden ausdrücklich zur fachlichen Begutachtung und Bewertung gesundheitsrelevanter Vorhaben und Maßnahmen hinsichtlich von (Umwelt-)Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit verpflichten (Welteke/Machtolf 2005: 211), ist dieses Instrument in Deutschland nicht gesetzlich verankert und wird bislang nur in Einzelfällen freiwillig durchgeführt (Reisig/Wildner 2012: 1).
Hauptanliegen einer Gesundheitsfolgenabschätzung ist es ein Vorhaben im Vorfeld auf seine gesundheitlichen Wirkungen abzuschätzen und über die Ergebnisse die Entscheidungsträger von Strategien, Programmen und Projekten zu informieren. Bei Bedarf können auch Empfehlungen zur gesundheitsverträglichen Ausgestaltung der beurteilten Vorhaben Bestandteil der Folgenabschätzung sein. Auf diese Weise sollen Gesundheitsfolgenabschätzungen Entscheidungsträger bei der Abwägung von gesundheitlichen mit anderen entscheidungsrelevanten Aspekten, bei der Auswahl von Handlungsoptionen, bei der Minimierung negativer und Optimierung positiver Gesundheitswirkungen sowie bei der Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheit zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen unterstützen (Fehr 2012: 189; Nowacki/Mekel 2012: 284 f.).
Betrachtet werden sowohl belastende bzw. negative als auch entlastende bzw. positive Auswirkungen auf die Gesundheit, also Gesundheitsrisiken und auch Gesundheitschancen. Dabei werden neben den gesundheitlichen Folgen für die gesamte betroffene Bevölkerung auch die gesundheitlichen Auswirkungen für besonders empfindliche, gefährdete oder benachteiligte Bevölkerungsgruppen wie z.B. Kinder, alte Menschen, sozial Benachteiligte ermittelt und bewertet (Fehr 2012: 189).
Das Verfahren einer Gesundheitsfolgenabschätzung setzt sich ähnlich wie Umweltprüfungen und Umweltverträglichkeitsprüfungen im Wesentlichen aus vier Arbeitsschritten zusammen (Nowacki/Mekel 2012: 288 ff.):
- Screening: erste schnelle Untersuchung, ob das geplante Vorhaben gesundheitliche Aus-wirkungen haben kann, und Entscheidung darüber, ob eine Gesundheitsfolgenabschätzung durchzuführen ist;
- Scoping: Festlegung des Untersuchungsrahmens und der anzuwendenden Methoden;
- Bewertungsverfahren: aufbauend auf der Analyse des geplanten Vorhabens Ermittlung der betroffenen Bevölkerungsgruppen sowie Identifizierung und Bewertung der gesundheitlichen Folgen für diese Gruppen;
- Berichterstattung: Darstellung des Vorhabens und des Untersuchungsrahmens, der ver-wendeten Methoden, der gewonnenen Erkenntnisse sowie der Empfehlungen für das weitere Vorgehen.
Methodisch können sowohl quantitativ orientierte epidemiologische (z.B. statistische Datenanalyse, mathematische Modellierung), als auch qualitativ ausgerichtete sozialwissenschaftliche Ansätze (z.B. Experten- und Betroffenenbefragungen zum Einsatz kommen (Nowacki/Mekel 2012: 285). Darüber hinaus kommt einer umfassenden Partizipation sowie der Einbeziehung der verschiedenen Interessensgruppen besondere Bedeutung zu (Fehr 2012: 189 f,). Die Gesundheitsfolgenabschätzung kann innerhalb bestehender Gesamtverfahren wie z.B. Umweltprüfungen und Umweltverträglichkeitsprüfungen oder auch unabhängig davon erfolgen.
Ein zentrales Prinzip von Gesundheitsfolgenabschätzungen stellt die Berücksichtigung der unterschiedlichen gesundheitlichen Auswirkungen von Vorhaben auf verschieden vulnerable Bevölkerungsgruppen dar. Gesundheitliche Ungleichheiten müssen daher in allen Arbeitsschritten mitbetrachtet werden (Nowacki/Mekel 2012: 287). Damit können Gesundheitsfolgenabschätzungen einen Beitrag zur Förderung von Chancengleichheit und zur Vermeidung und Reduzierung auch räumlich konzentrierter und durch Umweltbelastungen ausgelöster gesundheitlicher Ungleichheiten leisten (Scott-Samuel 1996).
Da Gesundheitsfolgenabschätzungen insbesondere als intersektorales Instrument dienen, sind sie zudem geeignet, Gesundheitswissen in andere Bereiche wie beispielsweise Stadtentwicklung und Umweltschutz zu vermitteln, die sich ansonsten nicht explizit mit Gesundheitsthemen befassen. Auch dies stellt mit Blick auf Umweltgerechtigkeit ein Potential von Gesundheitsfolgenabschätzungen dar.
Eine Gesundheitsfolgenabschätzung stellt eine wichtige Ergänzung von Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) und strategischen Umweltprüfungen (SUP) dar. In der Praxis dieser Prüfungen kommen die gesundheitlichen Aspekte bislang häufig viel zu kurz, nicht zuletzt weil Gesundheitsressorts oftmals nicht ausreichend in diese Prüfverfahren einbezogen werden und daher nur unzureichend Einfluss auf die Prüfung gesundheitsrelevanter Aspekte nehmen können (Baumgart 2012: 275 f.; Welteke/Machtolf 2005: 212 ff.). Formal kann eine Gesundheitsfolgenabschätzung eigenständig und vorlaufend bzw. parallel zur UVP bzw. SUP erfolgen; sie kann aber auch in diese Verfahren integriert werden.
Schutzgut Mensch – Überlegungen zur strategischen Verankerung von Gesundheitsbelangen in der Umweltprüfung
Baumgart, Sabine (2012): Schutzgut Mensch – Überlegungen zur strategischen Verankerung von Gesundheitsbelangen in der Umweltprüfung. In: Gabriele Bolte, Christiane Bunge, Claudia Hornberg, Heike Köckler und Andreas Mielck (Hrsg.): Umweltgerechtigkeit durch Chancengleichheit bei Umwelt und Gesundheit – Konzepte, Datenlage und Handlungsperspektive, Bern. S. 217-282.
Gesundheitliche Wirkungsbilanzen (Health Impact Assessment, HIA)
Fehr, Rainer (2012): Gesundheitliche Wirkungsbilanzen (Health Impact Assessment, HIA). In: Christa Böhme, Christa Kliemle, Bettina Reimann und Waldemar Süß (Hrsg.): Handbuch Stadtplanung und Gesundheit, Bern, S. 187-198.
Health Impact Assessmet und Umweltgerechtigkeit
Nowacki, Julia, und Odile Mekel (2012): Health Impact Assessmet und Umweltgerechtigkeit. In: Gabriele Bolte, Christi-ane Bunge, Claudia Hornberg, Heike Köckler und Andreas Mielck (Hrsg.): Umweltgerechtigkeit durch Chancen-gleichheit bei Umwelt und Gesundheit – Konzepte, Datenlage und Handlungsperspektive, Bern, S. 283-293.
HIA in der akademischen Lehre: Stellenwert für den Master in Public Health – am Beispiel des neu ausgerichteten Master of Public Health in München
Reisig, Veronika, und Manfred Wildner (2012): HIA in der akademischen Lehre: Stellenwert für den Master in Public Health – am Beispiel des neu ausgerichteten Master of Public Health in München. In. Gesundheit Berlin-Brandenburg (Hrsg.): Dokumentation 17. Kongress Armut und Gesundheit, Berlin.
Health impact assessment
Scott-Samuel, Alex (1996): Health impact assessment. In. British Medical Journal, S. 183-184.
Gesundheitsverträglichkeit von Projekten und Planungen
Welteke, Rudolf, und Monika Machtolf (2005): Gesundheitsverträglichkeit von Projekten und Planungen. In: Rainer Fehr, Hermann Neus und Ursel Heudorf (Hrsg.): Gesundheit und Umwelt. Ökologische Prävention und Gesund-heitsförderung, Bern, S. 210-219.
Quelle: Redaktionell überarbeiteter Auszug aus: Christa Böhme und Arno Bunzel: Umweltgerechtigkeit im städtischen Raum. Expertise „Instrumente zur Erhaltung und Schaffung von Umweltgerechtigkeit“. Difu-Sonderveröffentlichung. Berlin 2014 (S. 61-63)
https://difu.de/publikationen/2014/umweltgerechtigkeit-im-staedtischen-raum-expertise.html.